Viele MigrantInnen kamen der Arbeit wegen nach Tirol. Die Tiroler Röhren- und Metallwerke waren der größte Arbeitgeber in Hall, aber auch die Haller Textilwerke und verschiedene Baufirmen boten wichtige Anziehungspunkte. In den 1950er und 1960er Jahren erzeugte der Wirtschaftsaufschwung in den west- und nordeuropäischen Ländern einen Bedarf an Arbeitskräften, der im Inland nicht mehr gedeckt werden konnte und für den daher temporär Arbeitskräfte aus wirtschaftsschwachen südeuropäischen Ländern einspringen sollten.
Die rechtliche Situation von AusländerInnen, die in Österreich arbeiten wollen, ist kompliziert und wenig berechenbar. Um regulär in Hall leben zu können, benötigen sie seit den 1960er Jahren eine Arbeits- und eine Aufenthaltserlaubnis und müssen eine Wohnung vorweisen können. Ihr Arbeitgeber hat eine Beschäftigungsgenehmigung beim Arbeitsamt einzuholen. Arbeits- und Aufenthaltsrecht sind aneinander gekoppelt und widerrufbar. Der permanente Zustand der Unsicherheit ist ganz im Interesse der österreichischen Wirtschaft, aber auch österreichischer ArbeitnehmerInnen: MigrantInnen sollen nach konjunkturellen Bedürfnissen angestellt und entlassen werden können. In der Praxis entscheiden Betriebe aber oft nicht nach der Nationalität, sondern der Arbeitsleistung.
Die Arbeitsbedingungen in vielen Betrieben waren anstrengend und gefährlich. Viele Tätigkeiten, die heute von Maschinen ausgeführt werden, mussten von Hand erledigt werden.
Im September 1967 befragt „Radio Tirol“ Gießereidirektor Mücke und Personalchef Ruckenbauer zur „Beschäftigung von Fremdarbeitern“ bei den TRM.
Der Begriff des „Fremdarbeiters“ wurde in den Anfangsjahren der Arbeitsmigration noch parallel mit jenem des „Gastarbeiters“ verwendet, obwohl er direkt auf das System der Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ verweist. Aber auch der Begriff „Gastarbeiter“ ist ebenfalls in der NS-Zeit eingeführt worden und spiegelt
zudem falsche Tatsachen vor: Gäste werden willkommen geheißen, arbeiten normalerweise nicht und reisen nach einem kurzen Aufenthalt wieder ab. So verweigert der Begriff nicht zuletzt eine Anerkennung der Tatsache der Einwanderung.
Auf Grundlage der Betriebsnachrichten der Tiroler Röhrenwerke, September 1967, nachgesprochen von Andrea Hörl und Hans Danner
Tiroler Rohre GmbH
Seit Abschluss der Anwerbeabkommen mit der Türkei (1964) und Jugoslawien (1966) organisiert die Wirtschaftskammer Österreich den offiziellen Weg der Anwerbung und Vermittlung ausländischer
Arbeitskräfte. Dazu richtet sie die „Arbeitsgemeinschaft zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte“ ein. In Istanbul und Belgrad unterhält sie so genannte Anwerbekommissionen. In
jährlichen Merkblättern unterrichtet sie österreichische Betriebe über das Verfahren des immer stärker bürokratisierten Anwerbeprozesses:
– Der Betrieb muss pro Arbeitskraft eine Anwerbepauschale an die Wirtschaftskammer entrichten, erst dann werden Personen vermittelt, die sich bei den Anwerbekommissionen in Istanbul oder Belgrad gemeldet haben.
– Bei besonderen Eignungswünschen wird den Arbeitgebern empfohlen, selbst an den „Selektionen im Ausland“ teilzunehmen.
– Vor der Einreise muss die „gesundheitliche Unbedenklichkeit“ bescheinigt werden.
Nach „Eintreffen der ausländischen Arbeitskräfte“ ist der Arbeitsgemeinschaft eine „Übernahmebestätigung“ auszustellen.
„Gastarbeiter“ werden in diesem Verfahren mehr als Ware denn als Menschen behandelt. Belastete Begriffe aus der NS-Zeit gelten scheinbar als unproblematisch. Gleichzeitig wird deutlich, dass MigrantInnen in Österreich als latente Bedrohung wahrgenommen wurden.
Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, Merkblatt über die Anwerbung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte, 1967
WKO Tirol